«SRF TOP SHOTS» MIT CHRISTIAN BOBST – LES LUTTEURS SÉNÉGALAIS

Freitag, 28. Oktober 2016

Der Schweizer Fotograf Christian Bobst ist für seine Fotoreportage über die «Lutteurs sénégalais», die Ringer aus dem Senegal, in diesem Jahr mit einem World Press Photo Award in der Kategorie «Fotostory Sport» ausgezeichnet worden. Seine beeindruckenden Fotografien führen die gesellschaftliche Bedeutung dieses Kampfsports im Senegal vor Augen. Die Wettkämpfe sind Strassenfeger. Wer sich die Eintrittskarte nicht leisten kann, verfolgt die Kämpfe an öffentlich aufgestellten Fernsehern, alle anderen versammeln sich in der Arena. Die Champions werden in ihrer Heimat wie Helden verehrt und geniessen hohes Ansehen. Christian Bobst hat Ringkämpfer von der Vorbereitung bis zum entscheidenden Wettkampf mit der Kamera begleitet. In plastischen, kraftvollen Bildern hat er den Stolz und die Hingabe der Ringer wie auch die Begeisterung der Zuschauer festgehalten.

Die Sendung «Top Shots» begleitet Schweizer Fotografinnen und Fotografen auf ihren Reportagen. In der Staffel «Native Sports» reisen vier Fotografinnen und Fotografen zu sportlichen Wettkämpfen auf der ganzen Welt. Jede Sendung ist ein «Making-of» einer spannenden Fotoreportage.

Ein Plakat wirbt an einer Strasse von Dakar für einen Ringkampf zwischen Balla Gaye 2 und Emeu Sene, zwei Superstars des senegalesischen Wrestlings.

Nachträglich noch unseren herzlichen Glückwunsch, Christian, zur Verleihung des World Press Photo Award, den du für Deine Reportage über die «Lutteurs sénégalaise» bekommen hast.

Wie bist du auf diesen Sport aufmerksam geworden und wie ist es zu der Sendung bei Top Shots gekommen?
Ich war mit dem Schweizer Hilfswerk HEKS dort, mit dem ich jedes Jahr eine Auftragsreise in verschiedene Länder mache. 2012 waren wir im Senegal. Das Ringen dort, „La lutte sénégalaise“, ist ein sehr traditioneller Brauch, der vom kleinsten Dorf bis in die grösste Stadt, vom Dorfplatz bis ins grösste Stadium, praktiziert wird. Zum Abschluss unseres Besuchs fand ein Fest im Dorf statt und es wurde ein Ringkampf mit verschiedenen Ringern organisiert. Für eine Reportage war es mir damals zu wenig, ich habe die Bilder aber als interessante Geschichte, die man eines Tages noch verwerten könne, abgelegt.

Und dann kam die Anfrage vom Fernsehsender SRF, ob mir exotische Sportarten aus fremden Ländern bekannt seien, für die Dokumentarfilmserie «Top Shots».  Erst wollte ich abwinken, da ich eigentlich kein Sportfotograf bin, aber dann kam mir die Geschichte aus dem Senegal wieder in den Sinn. Ich habe die Bilder herausgesucht und konnte mich erinnern, dass zu der Zeit im selben Dorf ein grosser Kampf am Wochenende stattfand, der auch im Fernsehen übertragen wurde. Es war ein historischer Kampf, bei dem Balla Gaye II, den ich auch fotografiert habe, Yekini entthront hat, der zwölf Jahre lang der unangefochtene Champion war. Das war damals eine Sensation. Das ganze Dorf ist aus den Häusern gerannt und alle haben geschrien. Der Kampf dauerte ungefähr 30 Sekunden. Wir waren noch dabei, uns zu installieren und alles zu fotografieren, als es auch schon vorbei war; darauf waren wir überhaupt nicht vorbereitet. Daher wusste ich, dass das Ringen eine grosse Sache im Senegal ist. Anschliessend  habe ich noch einmal recherchiert und dem Fernsehsender schliesslich meine Bilder und ein Treatment geschickt. Die Recherche hat man mir überlassen, die Leute vom Fernsehen kamen einfach als Begleitung mit. Die Kontakte herzustellen und die richtigen Leute zu finden, die mich in diese Welt einführen konnten, war meine wichtigste und schwierigste Aufgabe dabei. Nach einigen Recherchen in Zürich erhielt ich über eine hiesige Senegalesin den Kontakt zu ihrem Cousin, der früher einmal der Verbandspräsident der Wrestler gewesen war. Als ich ihn fragte, ob er mir helfen könne, sagte er „Il n’ya pas de problème, il n’ya pas de problème. Venez!“ Doch als ich ihn dort traf, war gerade sein Vater gestorben. So vermittelte er mich an einen Freund weiter, Lac de Guiers, einen ehemaligen Champion und Inhaber einer eigenen Wrestling-Schule. Der öffnete mir dann die Türen.

Balla Gaye 2 lässt im Stadion Demba Diop vor dem mit 200 Millionen CFA (ca. 315.000 USD) dotierten Kampf gegen Emeu Sene mehrere Tauben frei. Ein mystisches Ritual, welches Glück bringen soll.

Kampfszene zwischen Emeu Sene (links) und Balla Gaye 2 (rechts) vom 5. April 2015 im Stadion Demba Diop.

Das senegalesische Ringen weist Ähnlichkeiten mit dem schweizerischen Schwingen auf. Inwiefern?
Es gibt zwei Unterschiede: In der Schweiz kämpft man nicht mit den Fäusten, und es wird auch kein Voodoo dabei eingesetzt. Aber darüber hinaus ist vieles ähnlich, auch die Schwingerhosen. Im Senegal packen sich die Ringer beim Kampf ebenso daran wie in der Schweiz, doch bei den senegalesischen Schwingern befinden sich darunter noch Amulette, Gris-gris, Pflanzen, alles, was den Kämpfer unbesiegbar machen soll. Wer die besseren Gris-gris hat, gewinnt. Jeder hat seine Marabouts, jeder hat seine Gris-gris. Und bei den grossen Stars sind es geradezu Armeen von Marabouts, die sich mit den Wrestlern gegenseitig bekämpfen.

[Anm. d. Red.: Gris-gris sind mystische, mit dem Voodoo vergleichbare Rituale mit Amuletten, Zaubertränken und hypnotischen Rhythmen, ohne welche die Ringkämpfe undenkbar wären. Marabouts genannte Schamanen sollen den Lutteurs sénégalaise mit ihrer Magie zum Sieg verhelfen.]

Ein Schamane, in Senegal Marabout genannt, bereitet den Kampf eines Ringers vor, indem er am Cham – dem Andachtsort der Ahnen der Familie des Ringers, hier der des Wrestlers Kherou Ngor – mit Pflanzenmilch ein Opfer bringt.

Du hast Fotoreportagen in Namibia und Äthiopien durchgeführt, die ernste Themen aufgreifen und die man auch auf Deiner Website findet. Was unterscheidet die Reportage über die Schwinger davon?
Die Afrikaner ärgert es, wenn unsere Medien immer nur Nachrichten über Hunger und Not in Afrika verbreiten.  Sie finden diese Darstellung von Afrika einseitig. Ich verstehe das. In den Medien dominieren natürlich seit jeher eher Negativmeldungen. Auch wenn man sich beim World Press Photo Award umschaut, sind die meisten Reportagen keine leichten Geschichten. Und es ist ganz selbstverständlich, dass man als Fotojournalist den Anspruch hat, Geschichten mit einem gewissen Tiefgang zu machen. Bei einer Reportage wie der vom Wrestling bekommt man schon fast Schuldgefühle, weil es sich um eher leichte Kost handelt. Dabei gibt es in armen Ländern doch so viel Unrecht und Menschenrechtsverletzungen. Und es gehört auch zur Mission eines Fotojournalisten, gegen dieses Unrecht «anzufotografieren». Doch man muss auch aufpassen, dass man diese Not nicht ausbeutet, um spannende Fotostories zu erhalten. Ich denke, als Fotograf hat man eine Verantwortung, ausgewogen über andere Kulturen und Ländern zu berichten. Deshalb war es wichtig für mich, auch mal eine Geschichte zu bringen, die interessante, kulturelle, ja, unbeschwerte Aspekte Afrikas zeigt.

Kherou Ngor übergiesst sich in der Meeresbrandung mit Milch. In den Steinen am Ufer de Quartiers Ngor soll ein Geist hausen, dessen Kraft und Schutz Kherou mit dem Ritual für sich gewinnen will, um bei den Kämpfen erfolgreich zu sein.

Da die Wettkämpfe meist abends stattfinden, stand dir beim Fotografieren nicht viel Umgebungslicht zur Verfügung. Wie hast du die Lichtverhältnisse mit Deiner Nikon-Ausrüstung bewältigen können und welches Equipment hast du dabei eingesetzt?
Ich habe mit der Nikon D750 fotografiert und musste die ganze Bandbreite einsetzen, denn mit Blende 2,8 ist in diesen Situationen nichts mehr zu machen. Ausserdem hatte ich meist einen D600-Body als Zweitkamera dabei, sodass ich auf der einen Kamera das 35 mm 1:1,8 und auf der anderen das 85 mm 1:1,8 montiert hatte. Es war nicht einfach, weil der eigene Radius limitiert ist – man kann sich zwar rundherum bewegen, aber nicht zu nahe herangehen, weil man das Wettkampferlebnis der Zuschauer stören würde. Ausserdem ist der Wettkampf sehr dynamisch, und es reicht nicht, mit 1/30 oder 1/15 Sekunde zu fotografieren. So habe ich hohe ISO-Einstellungen verwendet. Allerdings schränke ich die Empfindlichkeit auf ein Maximum von ISO 6400 ein, weil das Rauschen sonst zu stark ausfällt und die Bilder nicht mehr zu der übrigen Bildauswahl passen. Aber ich versuche auch immer, das Korn als Teil der Fotografie zu verstehen. Wenn man sich altes Filmmaterial anschaut, dann rauschte es ja bereits bei 400 ASA so wie heute bei ISO 3200. Ich neige eher dazu, das Korn nicht zu unterdrücken, manchmal gar etwas zu schärfen. Es ist auch Teil des Entwicklungsprozesses, ein schönes Korn zu erzeugen.

Ein Turnier in der Arena Adrien Senghor neigt sich dem Ende zu. Da es tagsüber zu heiss ist, finden die Wettkämpfe immer abends statt und dauern nicht selten bis Mitternacht.

Wie bist du zum Fotografieren gekommen und was bedeutet die Fotografie für dich?
Schon während meiner Grafikausbildung hatte ich eine starke Affinität zur Fotografie entwickelt. Mitte der neunziger Jahre, nach Abschluss meiner Grafikausbildung habe ich zwei Jahre als Fotograf und Fotoassistent gearbeitet. Ich habe dann jedoch gemerkt, dass es finanziell zu eng wurde. Ich war mir nicht sicher, in welche Richtung ich mich fotografisch entwickeln sollte. So habe ich auch noch bei Agenturen als Freelance-Grafiker gearbeitet. Schliesslich habe ich mich schweren Herzens dazu entschieden, das Angebot der Züricher Werbeagentur Wirz anzunehmen, und eine Karriere als Art Director und Creative Director gemacht. Später konnte ich mir mithilfe der Quersubventionierung aus meiner Freelance-Arbeit  den Freiraum für die Reportagefotografie schaffen. Ohne meine Geld von Anfang an mit Fotografie verdienen zu wollen, überlegte ich mir zunächst, was mich interessiert und wo ich mich als Fotograf positionieren möchte. Mit den Einnahmen aus der Werbung wollte ich meine eigenen Arbeiten vorfinanzieren und, wie bei der Reportage für den SRF, anbieten. Dies ist mir gelungen und auch nach wie vor meine Strategie. In der Fotografie nehme ich auch kaum  Auftragsarbeiten an, für die man wenig Zeit zur Verfügung bekommt. Vielmehr interessieren mich Geschichten, bei denen man eine gewisse Tiefe entwickeln und Bildmaterial in grösserem Umfang erstellen kann; ich bin weniger interessiert an Einzelbildern.

An welcher Reportage arbeitest du zurzeit?

Als nächstes bin ich wieder mit HEKS unterwegs, diesmal geht es in den Kosovo. Wir werden wie letztes Jahr in Brasilien wieder einen TV-Spot produzieren, dieses Mal mit Roma im Kosovo. Das wird eine spannende Geschichte.

Vielen Dank für das Interview, Christian.



Top-Shots-Folge «Christian Bobst - die Schwinger im Senegal» online sehen.

Zu Top Shots

Mehr von und über Christian Bobst findet ihr auf seiner Website.

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